Veranstaltung: | Landesparteitag |
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Tagesordnungspunkt: | 1. Anträge |
Status: | Beschluss |
Beschluss durch: | LPT |
Eingereicht: | 27.03.2019, 12:18 |
Antragshistorie: | Version 1 |
Seenotrettung stärken - Kriminalisierung von zivilen Seenotretter*innen beenden!
Beschlusstext
„Wie groß muss der Friedhof meiner Insel noch werden?“ In einem einfachen Satz
formulierte die Bürgermeisterin der Insel Lampedusa, Giusi Nicolini, bereits im
Mai 2012 den skandalösen Zustand an den Außengrenzen der Europäischen Union. Zu
diesem Zeitpunkt entflohen hunderttausende Menschen bereits dem brutalen
Bürgerkrieg in Syrien und retteten sich in die Anrainerstaaten Libanon,
Jordanien und die Türkei. Erst mit der Katastrophe vor Lampedusa im Oktober
2013, bei der 366 Menschen auf dem Mittelmeer ums Leben kamen, erreichte das
Schicksal geflüchteter Menschen die europäische Öffentlichkeit. Als Reaktion
hierauf hat die italienische Regierung die Seenotrettungsmission „Mare Nostrum“
ins Leben gerufen. Dies war nicht zuletzt eine Antwort auf das Ausbleiben einer
effektiven europäisch getragenen Rettungsmission. Auch wenn weitere 3.600
Menschen im Jahr 2014 auf der Flucht über das Meer starben, konnte Mare Nostrum
insgesamt über 150.000 Menschenleben retten. Da die EU-Mitgliedstaaten die
monatlichen Kosten von 9 Millionen Euro dieser Marineoperation jedoch nicht
mittragen wollten, wurde Mare Nostrum Ende 2014 von Italien eingestellt. Diese,
von der deutschen Bundesregierung maßgeblich mitverantwortete Entscheidung
kostete in den folgenden Jahren Tausenden Menschen das Leben.
Private Seenotrettungsorganisationen wie Sea-Watch, SOS Mediterranée, Jugend
Rettet, Sea-Eye oder Mission Lifeline versuchten dieses Vakuum, das durch das
Ende von Mare Nostrum entstanden ist, zu füllen. Unter hohem Einsatz und eigenem
Risiko konnten viele weitere Unglücke verhindert werden. Dieser Einsatz gegen
das Sterben auf unserem Meer verdient Respekt, Anerkennung und unsere volle
Solidarität. Den stetigen Kriminalisierungs- und Diffamierungsversuchen, denen
diese Organisationen auch durch Teile unserer Bundesregierung und des Parlaments
immer wieder. ausgesetzt sind, stellen wir uns mit aller Entschiedenheit
entgegen.
Die jüngsten Zahlen des UN-Flüchtlingshilfswerks zeigen, dass die Todesrate auf
der Fluchtroute zwischen Libyen und Europa im vergangenen Jahr um fast das
dreifache angestiegen ist. Insgesamt ließen im Schnitt sechs Menschen pro Tag
ihr Leben auf dem Mittelmeer, und das sind nur die Opfer, von denen wir wissen.
Angesichts der hoffnungslosen Lage in Libyen ist es schlicht zynisch, wenn Teile
der Bundesregierung die zivile Seenotrettung dafür verantwortlich machen, dass
immer mehr Schutzsuchende den lebensgefährlichen Weg über das Mittelmeer nehmen.
Denjenigen, die nach wie vor der Mär auf dem Leim gehen, die zivile
Seenotrettung würde Menschen dazu animieren, über das Mittelmeer zu fliehen, sei
deutlich gesagt: Die Ursachen hierfür liegen im Leid und den Erfahrungen, die
Menschen in den libyschen Folterknästen und in der Hoffnungslosigkeit dieser
Gewalt irgendwann zu entfliehen, machen mussten. Es ist ein Trugschluss zu
glauben, dass dieser Einsatz für Menschenrechte kriminellen Schleppern Vorschub
leistet. Das Fehlen legaler Wege in die EU ist, was dieses Geschäft überhaupt
erst lukrativ macht.
Immer wieder berichten Schutzsuchende, sie würden lieber ihr Leben auf dem Meer
lassen, als weiter in libyschen Foltergefängnissen misshandelt, vergewaltigt
oder versklavt zu werden. Der jüngste Bericht von Human Rights Watch schildert
eindrücklich die menschenunwürdige Situation in den dortigen Internierungslagern
und fordert von der Europäischen Union und ihren Mitgliedsstaaten zurecht den
Einsatz für eine funktionierende Seenotrettung vor der libyschen Küste und die
zügige Aufnahme und Evakuierung vor allem besonders Schutzbedürftiger aus
Libyen.
Statt jedoch all ihr politisches Gewicht in die Waagschale zu werfen und dafür
zu sorgen, dass das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen in Libyen
arbeiten und geflüchtete Menschen registrieren und verteilen kann, bleibt die EU
gegenüber den libyschen Autoritäten sprachlos. Die Kooperation mit der libyschen
Küstenwache - bisher die einzige Maßnahme der EU Mitgliedsstaaten - ist dabei
Teil des Problems und nicht Teil einer Lösung. Denn es gibt immer wieder
Berichte und Belege, dass die libysche Küstenwache Boote mit Geflüchteten
abdrängt oder sogar beschießt. Bei brutalen Einsätzen der libyschen Küstenwache
sind zahlreiche in Seenot geratene Geflüchtete ums Leben gekommen. Darüber
hinaus häufen sich in jüngster Zeit Vorfälle, bei denen Teile der libyschen
Küstenwache Hilfsorganisationen in ihrem Einsatz zur Rettung Schiffbrüchiger
systematisch an ihrer Arbeit hindern, sie selbst in Gefahr bringen, statt diese
dem völkerrechtlichen Gebot entsprechend zu unterstützen. Eine Kooperation mit
den libyschen Autoritäten darf es daher gegenwärtig nur im Bereich des Schutzes
von Menschenrechten geben.
Gleiches gilt auch für die Transit- und Herkunftsstaaten von Geflüchteten. Uns
muss immer klar sein: Menschen fliehen vor Krieg, Verfolgung, existenzieller Not
und zunehmend auch aufgrund von Naturkatastrophen; in den allermeisten Fällen
innerhalb ihres Landes oder in Nachbarstaaten, oft in eine dramatische
humanitäre Lage. Neben der humanitären Hilfe in Kriegs- und Krisengebieten und
einer auf Frieden ausgerichteten Außenpolitik, ist es zentral, dass die EU
geeignete Maßnahmen zur Rettung von Menschenleben auf dem Mittelmeer auf den Weg
bringt.
Dass die “Sea-Watch 3” zuletzt wieder mit 47 aus Seenot Geretteten an Bord auf
dem Mittelmeer Wochen vor der sizilianischen Küste ausharren musste, bis sich
genügend Staaten zur Aufnahme bereit erklärten, ist ein Armutszeugnis. Der
Europäische Gerichtshof für Menschenrechte musste veranlassen, dass Italien den
Menschen medizinische Unterstützung, Essen und Getränke zukommen lässt. Es ist
beschämend, dass mitten in der Europäischen Union solch eine humanitäre
Selbstverständlichkeit mittlerweile gerichtlich angeordnet werden muss.
Die Bundesregierung muss diesem Wettbewerb der Schäbigkeit rechter Regierungen
innerhalb der EU endlich Einhalt gebieten und sich für eine nachhaltige
Verantwortungsteilung zum Schutz von Geflüchteten einsetzen. Das Feilschen um
Aufnahmekontingente auf dem Rücken von Menschen, die Schutz suchen, muss endlich
ein Ende haben. Wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie sich für eine
grundlegende Lösung für aus Seenot Geretteten einsetzt, notfalls mit einer
Koalition williger EU-Mitgliedsstaaten.
Der politische Umgang mit der zivilen Seenotrettung und der Rechtsruck in
zahlreichen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union dürfen nicht darüber
hinwegtäuschen, dass es auch die Stimmen der Humanität gibt. Neapel, Barcelona
aber auch Kiel, Lübeck und Flensburg – alle diese Städte und Gemeinden haben
sich zu sicheren Häfen erklärt und zeigen Bereitschaft, aus Seenot gerettete
Schutzsuchende aufzunehmen. Allein bundesweit sind es mittlerweile 32 Kommunen.
Diese Kommunen aber auch Organisationen wie die Seebrücke müssen in ihrer
Forderung, diesem unsäglichen Umgang mit der Seenotrettung die Stirn zu bieten
und Verantwortung zu übernehmen, von uns unterstützt werden
Wir werden uns daher auf allen Ebenen dafür einsetzen, dass
- alles dafür unternommen wird, damit Schutzsuchende sich an unseren
Außengrenzen nicht in Lebensgefahr begeben müssen; Wir begrüßen die
Initiative des Europäischen Parlamentes, das im Dezember 2018 die EU-
Kommission damit beauftragt hat, ein Konzept für humanitäre Visa
auszuarbeiten. Die Visa sollen es Schutzbedürftigen erlauben, legal nach
Europa einzureisen und hier Schutz zu beantragen, ohne sich dafür erst in
Lebensgefahr begeben zu müssen.
- Kooperationen mit und politische Maßnahmen in den Herkunfts- und
Transitländern von Geflüchteten nicht den eigenen innenpolitischen
Interessen folgen, sondern vornehmlich dazu beitragen, Ungerechtigkeiten
und Ursachen von Flucht zu beseitigen, sowie die lokale Zivilgesellschaft
in ihren Rechten zu stärken;
- die EU Mitgliedsstaaten gemeinsam eine staatlich finanzierte Seenotrettung
auf den Weg bringen;
- die Haft- und Folterzentren in Libyen geschlossen und die sich darin
befindlichen Menschen in Sicherheit gebracht werden;
- Man sich gegenüber den libyschen Autoritäten uneingeschränkt dafür
einsetzt, dass das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen in Libyen
arbeiten und geflüchtete Menschen registrieren und resettlen kann;
- die Arbeit der zivilen Rettungsmissionen im Mittelmeer unterstützt und
nicht, wie gegenwärtig, durch die libysche Küstenwache behindert werden;
- die unsäglichen Kriminalisierungsversuche von zivilen Seenotretter*innen
ein Ende finden;
- Sich die Bundesrepublik gegenüber den anderen europäischen
Mitgliedsstaaten dafür einsetzt, dass es einen verbindlichen Mechanismus
zur Verteilung und klare Aufnahmezusagen für aus Seenot gerettete Menschen
gibt;
- sichere Fluchtwege nach Europa geschaffen werden und bereits bestehende
Möglichkeiten der legalen Einreise für Schutzsuchende, wie etwa die
Familienzusammenführung, humanitäre Aufnahmeprogramme oder das
Resettlement-Programm der Vereinten Nationen, ausgebaut werden;
- unsere Konsularabteilungen und deutschen Auslandsvertretungen in den
Krisenregionen und Transitstaaten von Geflüchteten endlich personell
adäquat ausgestattet werden, so dass Visaanträge auf
Familienzusammenführung in akzeptablen Fristen gestellt und bearbeitet
werden können;
- das Recht auf Asyl von Geflüchteten auf hoher See, wie es insbesondere
auch vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte schon im Jahr 2008
festgestellt worden ist, geschützt wird, und deutsche aber auch andere
europäische Institutionen sich nicht direkt oder indirekt an
Zurückweisungen von Geflüchteten auf hoher See oder an Land beteiligen;
- Seenotrettungsschiffe und andere Schiffe mit aus Seenot Geretteten an Bord
in den nächsten sicheren Hafen innerhalb Europas einlaufen dürfen und die
geretteten Menschen ihr Recht auf eine unvoreingenommene Asylprüfung
wahrnehmen können;
- es auf europäischer Ebene einen finanziellen Ausgleich für entstandene
Verluste bei Handels-und Kreuzfahrtschiffen, Fähren und
Fischereifahrzeugen gibt, wenn diese Menschen aus Seenot gerettet haben;
- Kapitäninnen und Kapitäne, die Menschen aus Seenot gerettet und in einen
europäischen Hafen gebracht haben, hierfür strafrechtlich nicht belangt
werden dürfen;
- § 23,1 AufenthG dahingehend geändert wird, dass die Länder nicht mehr das
Einvernehmen mit dem Bundesinnenministerium herstellen müssen, um
humanitäre Aufnahmeprogramme auf den Weg zu bringen;
- Kommunen, die ihre Bereitschaft zur Aufnahme von Geflüchteten erklärt
haben, mit diesem Anliegen durch die Landesregierungen unterstützt werden